Räume erschließen sich

Räume erschließen sich,
wenn man einen Stein aufhebt, unter dem das Loch eines Mäuselabyrinths in die Tiefe der Erde führt.
Räume erschließen sich,
wenn man beim Anblick des Horizonts im Eismeer einen toten Fisch vor beide Augen hält.
Räume erschließen sich,
wenn man angesichts des schüchternen Versuchs der Vergänglichkeit zu entkommen, die über Jahre angehäuften Materialkisten ins Internet schüttet und dem winzigen Seufzer zerstäubender Elektrizität hinterher ruft:
Basta.
Räume schließen sich.

 

Mit dünner heller Linie

verliert.
über der Höhe des Horizonts
in der Rauchfahne eines fernen Brandes absehbar geschwind
die sich erst hinter der dritten Hügelkette
eine helle neue Straßenlinie
eilt dann durch die Ebene geschlängelt schneller
Von dem Kreuzungspunkt aus
mühsam aufgeschichteten Steinwall.
von einem ebenso alten ebenso grauen ebenso rauhen in Jahrzehnten
gekreuzt noch bevor die Höhe abbricht
die graue Steinmauer seit Jahrhunderten
aus dem dunkelverbrannten Alto in die Ebene hinein
schlängelt sich von mir weg
hockend
vertrockneten Flechtenkränzen behaarten Steinköpfen
abgeschliffenen nur mit winzigen
Auf einem der seit Ewigkeiten runden
Landschaft ziehen.
ein großes Kreuz über die
dünner heller Linie
Mit

 

Sturm

Sauber gefegt ist die Luft. Das weite Rund wühlt in frischer Wäsche. Die Liegekuhlen des Sommers sind ausgespült und der See zum freien Auslauf zurückgegeben. Die kleinen ölverschmierten Körper sind schon lange abgereist.
Mit dem Sturm reibt sich die See ihre Schlafkörner aus dem Auge.
Das dunkle Grau verleiht den Dingen Farbe.

Im Sturm rollen und drängen die großen Steine ins Wasser.
Springen auf und ab. Spucken übermütig Feinstes in den Wind, das über ihren Rücken zerstäubt.
Der dumpfe Lärm der Brecher belebt, auch wenn frische Buchsbaumkränze, mit weißen Astern besteckt und blutige Skelette von Möwen angeschwemmt liegen.
Die weißen Schaumbögen steigen höher zu mir her.
Glatt gekämmt liegen die Algenhaare und zirkeln nur mit den äußersten Spitzen Kreissegmente in den feinen Sand.
Kleine Steine liegen buntgewaschen auf
geschmirgelten Sandpodesten.

Mit Schwung tastet ein Sonnenstrahl die fliegende Horizontlinie ein Stück weit ab.
In Ordnung.
Genug Unordnung.
Kein Stein liegt im Weg.

Sie schweben und ich schwirre um sie herum.

 

Wassergeräusch

Möwen stecken ihre Schnäbel spitz gegen den Wind und überwachen mit eingezogenem Kopf auf dünnen Beinen gleichgültig das Aufschlagen und Verklingen der runden Wogen. Wind streicht um meine Ohren, saust dunkel und treibt. Eine Möwe wendet sich, weiche Federn blasen auf, tonlos. Sie spannt ihre Schwingen und schiebt sich auf den Wind. Die See läuft über heute. Wasser quillt aus der Weite über den Wall, den es vor sich aufgeschoben hat, und fließt zurück. Strömt der folgenden Welle entgegen und knotet am Saum. Schüchtern schleppen die Wellen heran, verschwören sich mit den zurückfließenden, um mit dem nächsten oder vierten Anlauf an der Höhe zu lecken. Das Strömen hör ich nicht, nur das Poltern beim Bruch, und wenn sich der Schaum zusammenschiebt und knisternd an der kalten Luft zerbirst.
Im Lärm des Saumes mischt sich schäumende Stille und tonloses Gleiten mit dumpfen Paukenwirbeln. Rauschend verliert sich der Schwung und strömt ab,
und schlägt, und zieht,
und ruht,
raschelt am Sand entlang und knistert flüsternd fort.

Dann donnert eine Wasserwand heran,
zersplittert ihre Kraft an dem Xylophon der Dalben,
die schwarz zerwaschen den Weg versperren.
Gruschend reißt der Wellenbogen auf und
zerfasert wild spritzend.

Brüllt an der Wand entlang,

gurgelt Töne aus dem Holz und

verfängt sich glucksend am einzelnen Stein. Atmet aus, strömt ab, gleicht sich an, flieht als saugender Bogen, bäumt sich auf und zerspritzt.
Gleitet, schäumt ab.

Und wieder schießen Fontainen, im spitzen Winkel am Holz schlegelnd, aufgebracht weiße Schaumkugeln in die Luft und fallen zerplatzend in abgleitendes Dunkel.
Noch einmal springen weiße Blasen vereint über Steine stolpernd hochgeschleudertgreifen vielspaltig ins Nichts, lassen eine Atemrunde Stille fallen, um noch höher, vom Wind aufgepeitscht, lauthals Haare weißen Gischtes zu zersprühen.

Etwas weiter draußen lassen sich Möwen taub und unbeeindruckt von den buckelnden Wellen wiegen.

 

Steine – ins Meer getropfte Löcher

Mit rundem Rücken lassen sie den Aufprall der Wellen über sich rollen.
Sie ducken sich unter eine Decke aus nassem Gischt.
Schwarze Punkte am unteren Hohlsaum nassgrauer Weite.
Flach wölbt sie von hier fort.
Laut lärmt die Stille der Steine.

Welche Zeit zählen sie?
An was für Fäden pendeln sie?
Hängen, schwimmen oder hüpfen Steine im Wasser?
Schwere Brocken atmen sich auf und nieder und halten die See in Wallung.

Sie fließen vor und zurück und auf und ab und liegen doch nur still im Geräusch.
Mit unzähligen Fingern und weichen Handballen trommelt die See auf ihren Köpfen.
Aus dem Wasser mineralisierte Knorpel.
Die Bedeutung ihrer Spalten, Risse und Einschlüsse ist ihnen egal.
Das Wasser schwemmt und schwappt gedankenlos über sie hinweg.
In runden Wasserschalen liegen Steine nur nach dem Sturm.

Durch das Brandloch in der Horizontlinie schießt der ferne Feuerstein einen gleißenden Strahl auf mich ab.

 

Mehr Wellen

Ein eintöniger, ständig veränderter, rauschender Vielklang liegt über der grauen Fläche. Weiße Schwünge, in Schaumblasen aufgelöste Halbkreise, schieben sich glitzernd vom dunklen Wasser auf die schwarze Muschelbank. Ende. Nur das Rauschen bleibt, schwappt, schlürft, endlos. Eine Welle überschlägt sich. Meine Augen sind zu langsam, die Erkenntnisse der Strömungsphysiker wirklich zu kontrollieren. Sieht aber schön aus. Die meisten Wellen schwingen ja gleichmäßig und geordnet, aber einige sind zu schnell oder auch etwas zu groß. Sollte man nicht doch die Bögen glätten, in kontrollierbares Gleichmaß fügen? Einzelne Töne sind nicht hörbar. Nur in gemeinsamen, strömenden Schwüngen schieben sie weißgeblasene Klangperlen in immer neu erfundenen Rhythmen zwischen Steine und tote Muscheln. Zerbrochen rollen sie wieder in ihr Orchester zurück. Einzeln sind sie nicht zu hören. Einzeln ergibt sich kein Ton. Zu hell, zu zart, die farblosen Wimpern von Okeanos´ Töchtern. Aber ich muss doch sehr laut rufen, will ich über dem Getöse klingen.

 

Morgens früh das Meer nach Feital leiten.

Morgens früh, bevor die Sonne die Linie erreicht, die gesamte Senke zwischen dem Feital Alto, den Höhenzügen im Osten und den vier hohen Zacken der Serra da Marofa als Meeresbucht mit einer hellweißen Nebelschicht füllen.
Sehr leicht mit der linken Hand die hin und her fließenden

Schwaden gegen die Hänge schieben, damit sie an einige

stehen gebliebene hohe Kiefern branden und sich zerstäuben.

Einen Höhenkamm in der Mitte der Senke mit kleinen Rundkopfnägeln
unregelmäßig bestecken und als Silhouette aus dem Meer herausragen lassen.

Langsam, während einer guten halben Stunde, die Sonne an einem Kondensstreifen hoch nach Lisboa fliegender Flugzeuge heraufziehen und die weißen Fusseln aufsaugen lassen, so dass immer mehr

Inseln entstehen.

Bevor aber alles aufgesogen ist, den Fensterladen dunkelschließen und schwarzen Kaffee mit heißer weißer Milch trinken.

 

Der Ort

Der Ort,

über dem die Höhen im Winter mit kahlen Buchenganglien an den Himmel genäht sind
und im Sommer grüne Wattestäbe
das glatte Blau bei dem Sturz in die schattigen Täler aufsaugen,
hat einen Namen.

 

Radierung

 

Die metallisch harte Himmelsplatte hängt, glänzend oder stumpf matt, je nach Blickrichtung, nebelhell hinter die Büsche gepresst. Das Nichts, sauber abgedeckt. Ein leichter, gelborange schimmernder ovaler Lichtfleck, unterhalb der hellen Wolke, die das Metallische mehlig aufhellt, dieser blasse Fleck wird beim letzten Abdruck nicht aufscheinen aus Schwäche. Mit dem Handballen schiebe ich Fusseln aus dem Himmel. Versuchsweise und aus Sentiment. Über der ersten Linie, dem feinen Stich, dem klirrenden Echo der kalten Metallnadel, dem hart geritzten Graben, schwirren verschieden tiefe und breite, schräge, gebogene, geknickte, weit oder eng zusammengerottete Bündel oder Schraffuren oder einzelne knorrige Gravuren über die glatte Platte. Schallende Verletzungen. Auch Wildwasserluft gefriert nicht ohne Echo. Mit Lust spreizen sich ab dem Ende des Griffelstoßes Krakelüren in den Himmel. Metallspäne. Unvorhersehbare Verästelungen. Dünnes Eis birst am Druck. Knoten fasern, greifen mit Willen verwirrt. Kräftiges Punzen und tiefes Graben mit dem Stichel wird die pechschwarze Druckfarbe in die aufgeworfenen, scharfkantigen Metallgrate kleben und über dem Schneeacker neue Orte auffächern.

 

Ich habe das Meer gesehen

Ich habe die Archipele der Sternbilder gesehen und
konnte sie nicht benennen.
Sie hießen anders als andere sie nannten und
sahen auch anders aus.
Mein Aufschrei aus Unvernunft
verknotete mich in willkürliche Ströme, deren Richtung
ich nicht kannte.
Ganze Halbinseln rissen sich los,
wie berstende Eisschollen, auf denen ich stand.
Wankend, aber nie ertrank ich,
auf den Wellen tanzend, leichter als ein Korken.
Jeder Sturm ertrug das triumphale Durcheinander,
das kein System ordnete.
Das ewig schlingernde Schiff meiner Menschheit.
In einfältiger Schlaflosigkeit bewunderte ich die
bedauernswerten Augen der beleuchteten Fenster gegenüber,
nachts um halb vier,
aber drang nicht gerade dann mein Schiffsrumpf aus Taumel,
süßer als das saure Fruchtfleisch der Äpfel
in die grünen Gewässer der Meere,
die Flecken des blauen Weines,
die Regeln großer Brüder und die
geschnittenen Hecken der Schrebergärten
vernachlässigend?!
Ich hab das Meer gesehen und die Archipele der Sterne.
Es war besteckt mit weißen Astern,
blutige Fische trieben zwischen den Steinen
und es war bespritzt mit Tropfen von Milch
oder hineingeklebten Möwen.
Ich badete verzückt in dem grünen Himmelsblau
und legte mein Kleid auf die vibrierende Linie des Horizonts,
und manchmal erschien ein Ertrunkener und
erzählte bemerkenswerte Geschichten.
Aus der überschwänglichen Morgenröte
und ihm gärte die bittere Farbe der Liebe.
Ich weiß wie die Himmel über den Meeren zerplatzen
unter den Blitzen
und wie die Windhosen wirbeln und sich wiegen
auf der Dünung weit draußen.
Ich hab die untergehende Sonne gesehen,
wie ihre langen Haare, zu violetten Streifen gerannen,
sich zitternd und wabernd verklebten in den Sparren
Energie erzeugender Zukunftsprojektile.
Jahrelang verfolgte ich den hysterischen Aufprall
der zerfetzenden Dünung
an den Klippen,
ohne mir Gedanken zu machen über den Verbrauch von Kraft.
Ich habe Blütenblätter unwissend
zwischen Panteraugen gelegt
und die Regenbögen über der Ebene
als Zügel unter dem Horizont der Meere gefasst,
aus anmaßendem Übermut Geschicke zu lenken.
Aber die Sümpfe gärten
und Scharen gefangener Tauben verwesten
in ausgeworfenen Netzen.
Wassermassen stürzten in die Windstille
und die endlose Weite verfing sich im strudelnden Abfluss
des Malstroms.
Ich sah Eisberge, Sonnen aus Silber, Wellen aus Perlmutt
und flach geschweißte Himmelsgewölbe,
riesige Seeschlangen, die winzige Wanzen verschlangen
und ich atmete die Ausdünstungen
sich windender pechschwarzer Bäume.
Dabei wollte ich nur den Kindern von den Brokatgewändern der Fische erzählen,
von ihren goldenen Augen und ihnen
ihre Gesänge aufschreiben.
Aber zankende Vögel mit stechenden Augen
bekleckerten meine Planken mit Kot,
statt die schwachen Fesseln meines Schlafes zu zerhacken.
Orkane schleuderten mich
in die Luft ohne Flügel
oder zwischen die klebrigen Tentakeln feuriger Quallen
in der engen Bucht.
Ich, frei, bestickt mit phosphoreszierenden Mondsicheln auf meinem Hemd,
durchlöcherte, im violetten Nebel versteckt,
die aufglühenden Himmel wie eine Mauer aus Papier,
ohne dem Azur seine Flecken zu nehmen,
als ihn die ultramarinfarbenen Tage des Juli
mit Keulen in die brennenden Trichter knüppelten.
Ich will die Archipele der Sterne sehen,
wo die wahnhaften Himmel noch offen sind
für uns.
Ich will den Kiel meines Schiffes
aus dem Sand schieben,
trotz der grausamen Monde und bitteren Sonnen.
Winde sollen mich auf das Meer wehen,
fort aus der betäubenden Starre schroffer Verlockungen.
Ich will die Archipele der Sterne finden.

(meine erlebte Übersetzung von Rimbauds Bateau ivre)