Radierung

 

Die metallisch harte Himmelsplatte hängt, glänzend oder stumpf matt, je nach Blickrichtung, nebelhell hinter die Büsche gepresst. Das Nichts, sauber abgedeckt. Ein leichter, gelborange schimmernder ovaler Lichtfleck, unterhalb der hellen Wolke, die das Metallische mehlig aufhellt, dieser blasse Fleck wird beim letzten Abdruck nicht aufscheinen aus Schwäche. Mit dem Handballen schiebe ich Fusseln aus dem Himmel. Versuchsweise und aus Sentiment. Über der ersten Linie, dem feinen Stich, dem klirrenden Echo der kalten Metallnadel, dem hart geritzten Graben, schwirren verschieden tiefe und breite, schräge, gebogene, geknickte, weit oder eng zusammengerottete Bündel oder Schraffuren oder einzelne knorrige Gravuren über die glatte Platte. Schallende Verletzungen. Auch Wildwasserluft gefriert nicht ohne Echo. Mit Lust spreizen sich ab dem Ende des Griffelstoßes Krakelüren in den Himmel. Metallspäne. Unvorhersehbare Verästelungen. Dünnes Eis birst am Druck. Knoten fasern, greifen mit Willen verwirrt. Kräftiges Punzen und tiefes Graben mit dem Stichel wird die pechschwarze Druckfarbe in die aufgeworfenen, scharfkantigen Metallgrate kleben und über dem Schneeacker neue Orte auffächern.

 

Ich habe das Meer gesehen

Ich habe die Archipele der Sternbilder gesehen und
konnte sie nicht benennen.
Sie hießen anders als andere sie nannten und
sahen auch anders aus.
Mein Aufschrei aus Unvernunft
verknotete mich in willkürliche Ströme, deren Richtung
ich nicht kannte.
Ganze Halbinseln rissen sich los,
wie berstende Eisschollen, auf denen ich stand.
Wankend, aber nie ertrank ich,
auf den Wellen tanzend, leichter als ein Korken.
Jeder Sturm ertrug das triumphale Durcheinander,
das kein System ordnete.
Das ewig schlingernde Schiff meiner Menschheit.
In einfältiger Schlaflosigkeit bewunderte ich die
bedauernswerten Augen der beleuchteten Fenster gegenüber,
nachts um halb vier,
aber drang nicht gerade dann mein Schiffsrumpf aus Taumel,
süßer als das saure Fruchtfleisch der Äpfel
in die grünen Gewässer der Meere,
die Flecken des blauen Weines,
die Regeln großer Brüder und die
geschnittenen Hecken der Schrebergärten
vernachlässigend?!
Ich hab das Meer gesehen und die Archipele der Sterne.
Es war besteckt mit weißen Astern,
blutige Fische trieben zwischen den Steinen
und es war bespritzt mit Tropfen von Milch
oder hineingeklebten Möwen.
Ich badete verzückt in dem grünen Himmelsblau
und legte mein Kleid auf die vibrierende Linie des Horizonts,
und manchmal erschien ein Ertrunkener und
erzählte bemerkenswerte Geschichten.
Aus der überschwänglichen Morgenröte
und ihm gärte die bittere Farbe der Liebe.
Ich weiß wie die Himmel über den Meeren zerplatzen
unter den Blitzen
und wie die Windhosen wirbeln und sich wiegen
auf der Dünung weit draußen.
Ich hab die untergehende Sonne gesehen,
wie ihre langen Haare, zu violetten Streifen gerannen,
sich zitternd und wabernd verklebten in den Sparren
Energie erzeugender Zukunftsprojektile.
Jahrelang verfolgte ich den hysterischen Aufprall
der zerfetzenden Dünung
an den Klippen,
ohne mir Gedanken zu machen über den Verbrauch von Kraft.
Ich habe Blütenblätter unwissend
zwischen Panteraugen gelegt
und die Regenbögen über der Ebene
als Zügel unter dem Horizont der Meere gefasst,
aus anmaßendem Übermut Geschicke zu lenken.
Aber die Sümpfe gärten
und Scharen gefangener Tauben verwesten
in ausgeworfenen Netzen.
Wassermassen stürzten in die Windstille
und die endlose Weite verfing sich im strudelnden Abfluss
des Malstroms.
Ich sah Eisberge, Sonnen aus Silber, Wellen aus Perlmutt
und flach geschweißte Himmelsgewölbe,
riesige Seeschlangen, die winzige Wanzen verschlangen
und ich atmete die Ausdünstungen
sich windender pechschwarzer Bäume.
Dabei wollte ich nur den Kindern von den Brokatgewändern der Fische erzählen,
von ihren goldenen Augen und ihnen
ihre Gesänge aufschreiben.
Aber zankende Vögel mit stechenden Augen
bekleckerten meine Planken mit Kot,
statt die schwachen Fesseln meines Schlafes zu zerhacken.
Orkane schleuderten mich
in die Luft ohne Flügel
oder zwischen die klebrigen Tentakeln feuriger Quallen
in der engen Bucht.
Ich, frei, bestickt mit phosphoreszierenden Mondsicheln auf meinem Hemd,
durchlöcherte, im violetten Nebel versteckt,
die aufglühenden Himmel wie eine Mauer aus Papier,
ohne dem Azur seine Flecken zu nehmen,
als ihn die ultramarinfarbenen Tage des Juli
mit Keulen in die brennenden Trichter knüppelten.
Ich will die Archipele der Sterne sehen,
wo die wahnhaften Himmel noch offen sind
für uns.
Ich will den Kiel meines Schiffes
aus dem Sand schieben,
trotz der grausamen Monde und bitteren Sonnen.
Winde sollen mich auf das Meer wehen,
fort aus der betäubenden Starre schroffer Verlockungen.
Ich will die Archipele der Sterne finden.

(meine erlebte Übersetzung von Rimbauds Bateau ivre)